Bildgestaltung: Goldener Schnitt oder Drittelregel?

Oliver M. Zielinski Oliver M. Zielinski - 4. November 2014 - in: Fragen und Antworten | Tutorials

primephoto-goldener-schnitt-drittelregelBei der Bildgestaltung von Immobilienfotos spielen Goldener Schnitt und Drittelregel eine wichtige Rolle.

Die Immobilienfotografie wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Dokumentation und Kunst. Je professioneller die Fotografie betrieben wird, um so stärker schlägt das Pendel in Richtung Kunst aus. Schließlich ist jeder ernsthafte Fotograf auch gleichzeitig Fotokünstler und Grafik-Designer.

Dem dokumentarischen Anteil wird der Immobilienfotograf dadurch gerecht, dass er sein Motiv so wirklichkeitsgetreu wie möglich abbildet. Schließlich dienen die Fotos aus Käufersicht als vorläufiger Ersatz für die Begehung und Begutachtung einer Immobilie vor Ort, und deshalb sollen sie keine Scheinwelt vorgaukeln, die beispielsweise aus einem Häuschen ein Schloss zaubert.

Andererseits haben Immobilienfotos die Aufgabe, für ein Objekt zu werben. Die Fotokunst konzentriert sich also darauf, eine Immobilie so einladend, hell und freundlich wie möglich abzubilden. Natürlich spielt dabei auch die Bildgestaltung eine Rolle. Nicht nur, dass die abgebildeten Gegenstände gezielt platziert werden. Auch die Einhaltung einiger fotografischer Regeln ist hilfreich, um dieses Ziel zu erreichen.

Goldener Schnitt

Menschen empfinden es als sehr angenehm, wenn wichtige Dinge einer gegenständlichen Darstellung nicht in der Mitte eines Bildes gezeigt werden. Als besonders ästhetisch gilt, wenn sie im Goldenen Schnitt liegen. Für diesen gibt es sogar eine Formel. Sie besagt, dass die längere Teilstrecke zwischen dem außermittigen Objekt und dem Bildrand und die Gesamtstrecke von Rand zu Rand im Verhältnis von 1:1,618 stehen. Sowohl die Entfernungen zu den senkrechten als auch den waagerechten Bildrändern ist davon betroffen. Für uns Menschen erscheint es ideal, wenn wichtige Bildelemente im Kreuzungspunkt zwischen der jeweiligen waagerechten und senkrechten Schnittlinie liegen.

Die roten Linien markieren mögliche Varianten für den Goldenen Schnitt. Die dominante Kante rechts vom Backofen ist daran ausgerichtet.

Die roten Linien markieren mögliche Varianten für den Goldenen Schnitt. Die dominante Kante rechts vom Backofen ist daran ausgerichtet.

Dieser Regel sind bereits griechische Architekten gefolgt und haben ihre Bauwerke danach konstruiert. Auch der David von Michelangelo in Florenz ist nach dieser Regel gestaltet. Und selbst Hollywood-Stars, deren Gesichtszüge dieser Regel folgen, bringen wir mehr Sympathie entgegen. Ex-James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan wird nachgesagt, dass sein Gesicht im Goldenen Schnitt gewachsen ist.

Drittelregel

Ein etwas anderer Ansatz handelt von der Drittelregel. Dabei wird die Fläche durch je zwei waagerechte und zwei senkrechte Linien in neun gleich große Rechtecke aufgeteilt. Bei der Drittelregel beträgt das zuvor mathematisch beschriebene Streckenverhältnis 1:1,5. Wichtige Bilddetails sollen an den Rahmenkanten positioniert werden. Mit dieser Drittelregel ist ein wichtiger Teil der harmonischen Bildgestaltung erledigt.

Die blauen Linien markieren mögliche Varianten für die Drittelregel. Die dominante Kante rechts vom Backofen ist daran ausgerichtet.

Die blauen Linien markieren mögliche Varianten für die Drittelregel. Die dominante Kante rechts vom Backofen ist daran ausgerichtet.

Für das menschliche Hirn ist es einfacher, eine Strecke in zwei, drei oder vier gleiche Abschnitte zu teilen (ab fünf wird es kompliziert). Die Drittelregel ist also ein zuverlässiger Helfer. Sie ist insofern der Goldene Schnitt des kleinen Fotografen ;-) .

Die praktische Umsetzung

Unter Laienfotografen gibt es jedoch erbitterte Streitgespräche, ob der Goldene Schnitt nun das Nonplusultra sei oder ob man auch die Drittelregel anwenden dürfe. Für den Einsatz in der Praxis liegt die Wahrheit genau dazwischen.

Der Unterschied zwischen 1,618 und 1,5 ist also nicht so gewaltig. Deshalb finden wir es sehr einfach, wenn man das Drittelraster nutzt, sich auf das mittlere Rechteck konzentriert und die bildwichtigen Details einfach in der Nähe der Innenecken platziert. Dann dürfte in etwa der Faktor 1,618 :-) erreicht sein. Genauer lässt sich der Goldene Schnitt anschließend in modernen Bildverarbeitungsprogrammen festlegen.

Aber auch die Kamerahersteller machen es dem Anwender einfach: im Kamerasucher vieler Modelle lässt sich ein Raster einblenden. Das hilft bei der Bildgestaltung. Ob diese Gitterlinien nun dem Goldenen Schnitt oder der Drittelregel entsprechen oder gänzlich anders verteilt sind, ist von Modell zu Modell verschieden. Wir haben das Anhand eines typischen Nikon-Suchers einmal vorbereitet:

Goldener Schnitt und Immobilienfotos

Für die Immobilienfotografie spielt die eingangs gestellte Frage nach dem Goldenen Schnitt oder der Drittelregel aber oft eine untergeordnete Rolle. Sicherlich wird der ambitionierte Fotograf immer darauf achten, dass ein harmonisches Bild entsteht. Aber oft werden ihm in der Praxis Grenzen gesetzt. Meist sind Räume, ihr Zuschnitt und ihre Einrichtung nicht sehr gut für künstlerisch vollendete Fotoprojekte geeignet. Man muss sie aber dennoch abbilden. So landen wir wieder beim dokumentarischen Ansatz der Immobilienfotografie. Die Fotokunst in diesen Lichtbildwerken erstreckt sich dann im Wesentlichen auf Lichtstimmung, Helligkeitsverteilung, Einsatz von Schatten, Farbigkeit, Bildwinkel und Brennweite. Und natürlich auf die realitätsnahe Bildbearbeitung im Anschluss an das Fotoshoot.

Erkennen Sie den Unterschied? Welche Variante finden Sie harmonischer?

 

Nachtrag

Was einen wahren Künstler ausmacht, soll Picasso so formuliert haben: „Lerne die Regeln wie ein Meister, auf dass Du sie wie ein Künstler brechen kannst.“ Daraus folgt also, dass jeder gute Fotograf die Grundregeln der Bildgestaltung kennen muss, bevor er sie bewusst bricht, um Kunstwerke zu schaffen.

 
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