Kehrwertregel in der modernen Immobilienfotografie

Oliver M. Zielinski Oliver M. Zielinski - 28. Februar 2016 - in: Tutorials

Kehrwertregel für scharfe AufnahmenIm Vorgespräch auf unseren Foto-Workshop für Makler im kommenden Monat kam die Sprache auf die Ausrüstung und Stative und sofort die Frage: „Können wir nicht einfach aus der Hand fotografieren?“ Für ein scharfes Foto gibt es dabei technische und persönliche Grenzen.

Wer sich ein Wenig mit Fotografie beschäftigt, dem ist die Kehrwertregel schon begegnet. Sie besagt, dass für eine scharfe Aufnahme aus der Hand ohne Verwacklung die Belichtungszeit mindestens so kurz sein sollte, wie der Kehrwert der verwendeten Brennweite. Nicht verstanden? Nehmen wir also folgendes Beispiel:

Sie fotografieren mit einer Brennweite von etwa 30 mm, dann ist eine Belichtungszeit von 1/30 Sekunde oder kürzer für ein unverwackeltes Bild erforderlich.

Optimale Haltung beim Fotografieren

Natürlich ist das nur eine Faustregel. Sie hängt davon ab, wie ruhig der Fotograf die Kamera halten kann. Wer am Morgen zuviel Kaffee getrunken hat oder wer gerade zu seinem Fototermin gehetzt ist, wird stärker wackeln und muss demzufolge kürzer belichten. Außerdem geht die Kehrwertregel von einer optimalen Fotografiehaltung aus:

  • aufrecht stehend,
  • Füße fußbreit auseinander, leicht versetzt, den hinteren Fuß leicht angewinkelt,
  • Ellenbogen fest am Brustkorb,
  • linke Hand stabilisierend unter dem Objektiv (niemals über dem Objektiv!),
  • einatmen, ein Drittel ausatmen, Luft anhalten, auslösen.

Wenn ein Stativ nicht möglich ist

Immobilienfotos werden Aufnahmen jedoch oft aus Positionen gemacht, die eine andere Haltung erfordern: gebückt, knieend, nach oben gereckt, nach vorn gebeugt, von einem wenig stabilen Untergrund aus.

Auch um diese Klippe zu umschiffen, empfehle ich dringlichst, Immobilienfotos immer von einem Stativ aus zu machen. Für die beste Bildqualität kommt man bei Aufnahmen von Innenräumen ohnehin schnell auf Belichtungszeiten von einer ganzen Sekunde und länger. Die hält niemand wackelfrei aus der Hand. Dennoch gibt es auch in der Immobilienfotografie immer wieder Szenarien, in denen Fotos aus der Hand notwendig sind – beispielsweise bei Detailaufnahmen am Baukörper oder wenn sich ein Stativ aufgrund der Höhe oder der Bodenbeschaffenheit nicht einsetzen lässt. Dann kann man den ermittelten Kehrwert für die Belichtungszeit getrost noch einmal halbieren.

In unserem Beispiel kommen wir also auf eine Belichtungszeit von 1/60 s.

Crop-Faktor beachten

Die hier beschriebene Faustregel basiert auf jahrzentelangen Erfahrungen und hat ihren Ursprung in der analogen Fotografie. Sie passt auch heute, wenn der Fotograf eine so genannten Vollformat-Kamera einsetzt, deren Sensor genau so groß ist, wie das klassische Kleinbild-Negativ mit 24 x 36 mm. Vielfach sind im Amateur- und Halbprofi-Sektor jedoch Kameras mit kleineren Sensoren im Einsatz. Nikon nennt diese Systeme DX, Canon APS-C und Olympus Four-Thirds. Der Verkleinerungsfaktor (Crop-Faktor) beträgt 1/1,5, 1/1,6 beziehungsweise 1/2. Das macht sich beispielsweise in der Brennweite bemerkbar. An einer solchen Nikon-Kamera wird aus einem 30-mm-Objektiv eine Linse mit 45 mm Brennweite (obwohl am Objektiv „echte“ 30 mm angezeigt werden).

In unserem Beispiel würde nun die passende Belichtungszeit von 1/60 s auf eine 1/90 s verkürzt werden müssen.

Bildstabilisator kann helfen

Einige Kameras oder Objektive bieten einen Verwacklungsschutz an. Hier wird durch bewegliche Elemente im Gerät die Wackelbewegung des Fotografen bis zu einem bestimmten Maß ausgeglichen. Die Hersteller geben bei modernen Geräten an, dass sie rekordverdächtige 4 Belichtungsstufen (Lichtwerte – LW) ausgleichen können. Bei Nikon heißt diese Technologie VR (Vibration Reduction), bei Canon IS (Image Stabilizer) und bei Sony OSS (Optical Steady Shot). Erfahrene Fotografen können diesen Wert erreichen. Berücksichtigen wir jedoch die persönliche Konstitution des Gelegenheitsfotografen, rechnen wir lieber mit 2 LW.

In unserem Beispiel könnten wir die Belichtungszeit nun um zwei Stufen verlängern, also von 1/90 s auf etwa 1/22,5 s.
An der Kamera würde dann gerundet  1/20 s eingestellt werden.

Moderne Technik erfordert mehr Schärfe

Die Kehrwertregel stammt aus dem Bereich der Analogfotografie, deren Standardfilme bei weitem nicht so hoch auflösende Ergebnisse brachten wie unsere heutigen Kamerasensoren, und  auch die Papierabzüge haben so manche Unschärfe verziehen. Wer umgerechnet 12 Megapixel erreichte, war schon gut. Außerdem hat die Entwicklung der Standard-Objektive in den letzen Jahren einen riesigen Schub erlebt, damit unsere hoch auflösenden Sensoren von 20 Megapixel und mehr schärfere Bilder liefern. Insofern muss man diese alte Regel noch einmal anpassen und die Belichtungszeit um den Faktor 1,5 verkürzen.

In unserem Beispiel kommen wir somit auf eine Belichtungszeit von etwa 1/30 s.

Alte Kehrwertregel hat Bestand

Damit sind wir nicht weit entfernt von der ursprünglichen Faustregel und können sie getrost anwenden, vorausgesetzt, wir fotografieren mit der heute üblichen Standardausrüstung bestehend aus:

  • einer modernen Kamera mit Crop-Faktor
  • einem modernen Objektiv mit Bildstabilisator
  • mit rund 20 Megapixel.

Wer mit einer Vollformatkamera oder weniger als 12 Megapixel fotografiert, ist etwas besser dran. Fehlt der Bildstabilisator, muss man entsprechend kürzer belichten.

 
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