Gefährliches Halbwissen in der Immobilienfotografie

Oliver M. Zielinski Oliver M. Zielinski - 17. August 2022 - in: Marketing | Tutorials

Gefährliches Halbwissen in der ImmobilienfotografieWar die Fotografie vor über 10 Jahren für die meisten Fotolaien noch auf spezielle Anlässe beschränkt, begleitet sie uns heute in allen Lebenslagen. Der rasanten Entwicklung der Smartphones und der damit verbundenen Bildergebnisse sei Dank. So ziemlich jeder trägt solch‘ eine kleine Wunderflunder in der Hosen- oder Handtasche mit sich. Und viele machen fleißig Gebrauch von der eingebauten Foto-App, denn es scheint witzig zu sein, das Abendessen, spielende Welpen, den Blick aus dem Hotelzimmerfenster oder ein Popkonzert festzuhalten und dieses Erlebnis im gleichen Moment mit der ganzen Welt zu teilen. Nicht mal gefährliches Halbwissen spielt dabei eine Rolle – und die Bildqualität erst recht nicht.

Wenig Gefühl für Bildqualität

Denn was unter dieser Bilderflut leidet, ist das Bewusstsein für ein gutes Foto.

Das betrifft zum Einen den eigenen Ehrgeiz, gut zu fotografieren, statt sich am automatischen Dauerfeuermodus zu erfreuen. In der Vorzeit waren viele Bilder besser, denn Fotografieren mit Film war kostspielig und Sie mussten versuchen, das gewünschte Ergebnis möglichst mit dem ersten Schuss zu erzielen. Oder mit dem zweiten. Beim dritten tat es dann schon weh. Sie haben sich also vor jedem Bild mehr Gedanken gemacht und dann etwas mehr Zeit investiert. Zumal Sie das Bildergebnis nicht sofort kontrollieren konnten und souveräne Bildbearbeitung wenigen Spezialisten vorbehalten war.

Andererseits nehmen die Betrachter schlechter Fotos heute die mangelnde Bildqualität aus den smarten Geräten zunehmend kritiklos hin.

Okay, wenn der eine schlecht fotografiert und der andere es nicht bemerkt, dann ist doch niemandem geschadet – könnte man zynisch meinen.

Gefährliches Halbwissen schadet dem Geschäft

Problematisch wird es jedoch, wenn diese Beliebigkeit Einzug in das Geschäftsleben hält.

Es folgt jetzt ein Beispiel aus eigener Erfahrung. Ich selbst hatte vor ziemlich genau 10 Jahren ein einschneidendes Erlebnis: In meiner Marketingagentur war ich seit über 15 Jahren gleichzeitig der Fotograf. Die Kunden kamen größtenteils aus dem Mittelstand und brauchten Bilder aller Art – Aufnahmen von Events, Porträts vom Geschäftsführer, Produktbilder, Fotos von Industrieanlagen etc.. Im Spätsommer 2012 arbeitete ich am Layout einer Imagebroschüre für einen Hersteller von Industriewerkzeugen und sollte dafür auch einige Produktfotos beisteuern. Kurz vor dem Fototermin sagte der Geschäftsführer die Aufnahmen ab, weil sein Azubi die Bilder mit seinem Smartphone machen wolle. Er lieferte daraufhin unterdurchschnittliche Fotos, die sich nur mit großem Retuscheaufwand für die Hochglanzbroschüre retten ließen. Am Ende wurde das Projekt für ihn teurer als es ursprünglich mit Profi-Fotos kalkuliert war.

Selbstüberschätzung

Ein Fall von Selbstüberschätzung – Links: Aufnahmen in dieser Art wurden vom Auszubildenden aufgeliefert Der Retusche-Aufwand lag bei etwa einer Stunde je Werkzeug – Rechts: Die professionell fotografierte Aufnahme des gleichen Werkzeugs macht nur wenig Photoshop erforderlich.

Für mich war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass ich mich Stück für Stück aus der bisherigen Agenturfotografie zurückziehen würde, weil die Machtübernahme durch beliebige Smartphone-Bilder sich nicht aufhalten lassen würde – zumindest in meiner bisherigen Zielgruppe. Also suchte ich nach einer fotografischen Nische. Weihnachten 2012 traf mich zur besinnlichen Stunde ein Gedankenblitz: Wo gibt es die schlechtesten Bilder? Im Immobiliensektor! Anfang April 2013 startete ich nach kurzer Vorbereitung mit PrimePhoto Immobilienfotografie und bin bis heute erfolgreich als Fotopartner für Immobilienprofis tätig.

Während dieser Zeit habe ich mich permanent mit vielen Maklern zum Thema Immobilienfotografie ausgetauscht und eine Reihe interessanter Erkenntnisse gesammelt.

Makler benötigen etwas Spezialwissen

Großartige Makler sind in den seltensten Fällen gute Fotografen. Das ist nicht weiter bedenklich, schließlich ist die Fotografie nicht ihr Job. Aber dennoch verdienen sie indirekt Geld mit ihren Fotos.

Einige haben gar keine Ahnung vom Fotografieren, andere ignorieren die nützlichen Funktionen ihrer Kamera (selbst beim Smartphone), manche verfügen über gefährliches Halbwissen. Das haben sie häufig im Laufe Ihres Lebens aufgeschnappt, sei es bei einem Akt-Fotokurs an der Volkshochschule, im Gespräch mit einem Profifotografen am Rande einer Hochzeit oder als sie mal in einer Fotozeitschrift am Flughafen geblättert hatten. Manche Zusammenhänge gerieten teilweise in Vergessenheit, andere wurden nicht richtig verstanden oder falsch kombiniert, aber sie glauben fest daran, dass sich mit diesem Pseudowissen gut fotografieren lässt.

Von den speziellen Bedingungen, unter denen Immobilienfotos gemacht werden müssen – also von schlechtem Licht und wenig Platz – ist dabei noch nicht einmal die Rede.

Zwischenfazit: Makler, die einen spezialisierten Fotografen engagieren, sind allgemein deutlich zufriedener. Und jene, die unbedingt selbst fotografieren wollen oder müssen, brauchen etwas Spezialwissen, um die Hürden der Immobilienfotografie sicher zu überwinden.

Gefährliches Halbwissen erleben wir jeden Tag. Überall.

In der Psychologie spricht man vom Dunning-Kruger-Effekt, wenn es um die Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten geht. Untersucht wurde von den amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger ursprünglich ein Bankraub, bei dem sich der unmaskierte Verbrecher so überlegen fühlte, dass er meinte, die Überwachungskamera einfach ignorieren zu können und auch hinterher nicht verstehen wollte, wo der Fehler seines Planes lag.

Das Prinzip lässt sich aber auch anwenden auf junge männliche Autofahrer, die überzeugt sind, ihr Fahrzeug sicherer zu lenken, als der Rest der Verkehrsteilnehmer (obschon sie den größten Teil der Unfallverursacher ausmachen). Genauso ist es mit den 80 Millionen Bundestrainern, die glauben, die Nationalmannschaft besser aufzustellen, als der bezahlte Übungsleiterstab des Deutschen Fußball-Bundes. Oder eben der zuvor bereits erwähnte Berufsanfänger und sein Chef, die nach einem scheinbaren Erfolg denken, sie hätten ausreichend Reife, um sich mit erfahrenen Profis zu messen.

Vier Klassiker für gefährliches Halbwissen in der Immobilienfotografie

Hier folgen exemplarisch vier Aussagen mit gefährlichem Halbwissen, die mir im Alltag als Immobilienfotograf und Foto-Trainer begegnet sind. Ich werde versuchen, sie zu entschärfen, damit Sie diese Argumente in Zukunft nie wieder verwenden.

„Eine Kamera ist gut, wenn sie eine gute Tiefenschärfe hat“

Das hört sich nach gekonnter Fachsimpelei an. Aber hier werden verschiedene Begriffe mit einander vermengt, die am Ende zu einer sinnlosen Aussage führen.

Während die Kamera zunächst nur auf einen entfernten Punkt fokussiert, lässt sich die Schärfe vorrangig durch Einstellungen am Objektiv auf einen Bereich vor und hinter diesem Fokuspunkt – also in die Tiefe – strecken. Deshalb nennt sich diese Zone „Tiefenschärfe“ (oder auch Schärfentiefe). Verantwortlich dafür sind optische Gesetze, die mit der Brennweite und der Größe des Lichtdurchlasses am Objektiv zu tun haben.

Immobilienfotos ohne und mit Tiefenschärfe

Immobilienfotos ohne und mit Tiefenschärfe – links: ganzheitliche Raumaufnahme einer Bibliothek, alle Bildbereiche sind scharf – rechts: Detailaufnahme der Leseleuchten, die Leuchte ist scharf, der Hintergrund verschwimmt gezielt in Unschärfe – bewirkt durch Brennweiten- und Blendeneinstellung am Objektiv.

Ob Tiefenschärfe gut oder schlecht ist, hängt immer von der Darstellungsabsicht für das jeweilige Foto ab. Man spricht eher von großer oder kleiner Tiefenschärfe. Bei Aufnahmen von einem ganzen Raum soll dieser Schärfebereich möglichst groß sein, damit alles scharf erscheint. Währenddessen ist bei Detailaufnahmen nur eine kleine Schärfezone erwünscht, und der Vorder- und Hintergrund sollen in Unschärfe verschwimmen. Beeinflusst wird das durch die Auswahl und Einstellung des verwendeten Objektivs.

Mit der Kamera hat die Qualität der Tiefenschärfe also nichts zu tun. Höchstens die Größe des eingebauten Kamerasensors nimmt Einfluss auf die Streckung des Schärfebereiches.

„Einen dunklen Raum kann ich nur mit Blitz fotografieren“

Das erscheint logisch. Zum Fotografieren benötigen Sie schließlich Licht. Und wo keines ist, da müssen Sie welches mitbringen. Beispielsweise einen Blitz.

Ist der Blitz jedoch auf der Kamera montiert, dann ist das erzeugte Licht unnatürlich, in etwa so als würden Sie die Szene mit einer Stirnlampe am Kopf betrachten: In Kameranähe ist die Szene überbelichtet, in der Ferne fehlt meist Licht, weil die Lichtintensität mit zunehmender Entfernung rasant (genaugenommen mit Zweierpotenz) abnimmt. Blitzfotos erkennen Sie auch an unnatürlichen Reflexionen und an harten Schlagschatten.

Sie können so einen Blitz zwar auch im Raum als Fake-Licht platzieren, das Licht weich machen und ihn per Fernauslösung zünden, das erfordert aber viel Erfahrung und ist für einen effizienten Fotografier-Workflow nicht förderlich.


Links: Aufnahme mit Blitz – kurze Reichweite, harte Schatten, unerwartete Reflexionen
Rechts: Aufnahme ohne Blitz – gleichmäßige Ausleuchtung durch vorhandenes Raumlicht

Viel besser ist es, das vorhandene natürliche Restlicht oder gegebenenfalls die existierende Raumbeleuchtung zu nutzen. Mit den richtigen Kameraeinstellungen und einer stabilisierten Kamera – beispielsweise auf dem Stativ – lassen sich so Fotos erzeugen, die dem natürlichen Raumeindruck am nächsten kommen.

„Es geht ohne Stativ, denn meine Kamera hat hohe ISO“

Da hat jemand gut aufgepasst und verwendet die richtigen Begriffe im korrekten Zusammenhang. Für die Immobilienfotografie ist diese Aussage aber leider suboptimal.

Ein Stativ soll die Kamera fixieren, so dass sie sich bei längeren Belichtungen mit wenig Licht nicht bewegt. Es gibt an den Kameras aber eine ISO-Einstellung, mit der sich die Lichtempfindlichkeit des Sensors verändern lässt. Sie könnten also bei wenig Licht den ISO-Wert hochschrauben, damit die Belichtungszeit kurz halten und somit womöglich auch freihand ohne Verwacklung fotografieren. Der entscheidende Nachteil hierbei ist, dass mit steigendem ISO-Wert die Bildqualität leidet. Das Foto fängt an zu rauschen – benachbarte Bildpunkte einer gleichfarbigen Fläche haben plötzlich verschiedene Helligkeit und Farbe, so dass das Bild unruhig wird.

Niedrige ISO-Werte machen bessere Immobilienbilder

Niedrige ISO-Werte machen bessere Immobilienbilder – Links: Wellnessbar eines Hotels freihandfotografiert mit ISO 12.800 – Rechts: Gleiches Motiv mit ISO 100 vom Stativ aufgenommen

Selbst wenn Sie den ISO-Wert nur moderat heraufsetzen, macht sich dieses Bildrauschen spätestens in der Bildbearbeitung bemerkbar, wenn Helligkeit, Kontrast und andere Tonwerte angepasst werden.

Die besten Immobilienfotos entstehen mit dem niedrigsten ISO-Wert und eben vom Stativ fotografiert, damit Sie nix verwackeln.

Abgesehen davon profitieren Sie beim Fotografieren vom Stativ von weiteren Vorteilen, beispielsweise bei Reihenaufnahmen oder wenn Sie festgestellt haben, dass Sie eine Aufnahme gleich noch einmal wiederholen müssen oder aber, wenn Sie durch die Stativposition eine unbequeme Fotografierhaltung ersetzen können.

„Mein Handy hat 108 Megapixel für Top-Fotos“

Herzlichen Glückwunsch! Das ist bestimmt ein tolles Smartphone mit beeindruckenden Funktionen. Ob es für die Immobilienfotografie geeignet ist, bleibt fraglich.

Gern folgen Verbraucher den Megapixelaussagen der Hersteller und denken, dass viele Megapixel bessere Fotos machen. Dem ist aber nicht in jedem Fall so. Entscheidend für die Bildqualität ist nämlich eher die Größe der einzelnen Pixel. Einfache Kausalkette: Je mehr Pixel sich auf der begrenzten Sensorfläche drängeln müssen, um so kleiner sind sie, um so schlechter ist die Roh-Bildqualität und um so stärker muss die kamerainterne Bildretusche eingreifen. Die dafür verantwortlichen Algorithmen sind aber nicht unbedingt auf Immobilienfotos ausgelegt, sondern eher auf den Freizeitsektor und unkritische Lichtverhältnisse.

Sensorvergleich

Sensorvergleich: Auf dem Sensor eines Smartphones geht es im Vergleich zur professionellen Kamera 28 mal enger zu. Die resultierenden Bildschwächen versucht das Smartphone durch nachträgliche kamerainterne Bildbearbeitungsautomatiken abzufangen.

Hersteller von richtigen Fotoapparaten für den Amateuersektor haben die Bildqualität mit Sicht auf die Immobilienfotografie bis 30 Megapixel ganz gut im Griff. Bei Smartphones liegt dieser Wert weit darunter. Beim iPhone 13 Pro mit 12 Megapixeln beträgt die Pixelgröße rund 1,0 µm, während es bei einer guten Amateurkamera mit Wechselobjektiv und 24 Megapixeln immerhin 3,9 µm und mehr sind. Und dieser Unterschied entscheidet über die Bildqualität.

Zur Ehrenrettung des Smartphones kann man sagen, dass bei den aktuellen 108-Megapixel-Modellen nach der Umschaltung auf das Ultraweitwinkelobjektiv für Innenraumaufnahmen nur noch maximal 20 Megapixel zur Verfügung stehen. Aber auch die haben Platzangst und erzeugen im Hinblick auf Bildrauschen und Bilddynamik nur durchschnittliche Qualität.

Fazit

Was macht gefährliches Halbwissen so bedrohlich? Es gaukelt Ihnen eine gewisse Sicherheit vor, so dass Sie glauben, dass Ihre Art zu fotografieren die richtige und dass Ihre Fotos ausreichend gut seien.

Immobilienfotos sind WerbeaufnahmenStatt dessen kann es zu fotografischen Kardinalfehlern kommen. Und die wiederum sind auf Dauer geschäftsschädigend. Denn Immobilienfotos sind Werbeaufnahmen – und zwar nicht nur für den Vertrieb eines bestimmten Objektes, sondern in allererster Linie für Ihre eigene Reputation als exzellentes Immobilienunternehmen. Mit starken Fotostrecken heben Sie sich vom Wettbewerb ab und untermauern Ihr gutes Image als Immobilienprofi. So binden Sie in wenigen Sekunden potenzielle Interessenten emotional und ebnen auf eine effiziente Art den Weg zum Vertriebserfolg.

Das sind keine leeren Floskeln, weil genau diese Erfahrung ehemalige Teilnehmer an meinen Fotoworkshops für Immobilienprofis immer wieder bestätigen. Denn ISO, Blitz, Stativ, Megapixel, und Tiefenschärfe sind für sie keine Fremdworte mehr – sie nutzen sie im ganz normalen Tagesgeschäft erfolgreich für bessere Immobilienfotos.

Win-Win-Effekt: Außerdem hindert sie niemand daran, mit dem neuen Fotowissen zukünftig auch bessere private Schnappschüsse mit der ganzen Welt zu teilen.

Passende Links gegen gefährliches Halbwissen

 
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